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Religion

„Mach deine Hausaufgaben" oder „Warum ist Gott nicht ebenso wichtig im Leben wie Mathematik und Bruchrechnen?"

 

So fragt sich Christoph in dem Kinderbuch von Marie Desplechin „Ich, Gott und Onkel Frederic“. Auf amüsante Weise wird in diesem Buch von der Faszination religiöser Fragen und der Notwendigkeit des generationen-übergreifenden Gesprächs erzählt.

Die Frage der Erwachsenen „Na, Christoph, was willst du denn später einmal werden?“ mag der Junge gar nicht, denn egal was er antwortet, oft hört er Kommentare wie „Du musst in der Schule gut aufpassen.“ oder „Mach deine Haus-aufgaben ordentlich.“ Lieber wäre es ihm, wenn er gefragt würde: „Na, Christoph, mal ganz ehrlich, was hältst du von dieser Geschichte mit Gott?“ Denn der hat ihn von klein auf fasziniert. Darüber würde er gerne diskutieren. Darin möchte er ernstgenommen werden. „Dann könnte man mir auch nicht antworten, dass ich in der Schule immer gut aufpassen müsste. Bis heute habe ich jedenfalls keinen Zusammenhang zwischen Gott und den Hausaufgaben ent-decken können. Gott ist eines der wenigen Dinge, die sich selbst genügen.“

Was möchte ich später werden? Was nützt mir das für später? Fragen, nach denen wir Wichtigkeit messen - aber: Kann ich überhaupt wissen, was mir später im Einzelnen nützt? Denken wir nicht viel zu kurz, wenn nur nach dem Nutzen gefragt wird? Geht es nicht erst einmal um das „Werden“, um das Entdecken und die Entfaltung von Begabungen und Fähigkeiten, um die Entwicklung der Persönlichkeit? Hierzu möchte jedes Schulfach sein Teil beitragen. Hierfür sind sicherlich Fleiß, Übung, Lernanstrengung und wohl ebenso Hausaufgaben notwendig.

Im Zusammenhang mit der Persönlichkeitsentwicklung ist auch zu sehen, was der Religionspädagoge Friedrich Schweitzer als „Recht des Kindes auf Religion“ bezeichnet, als Recht auf religiöse Bildung, sowohl in der Familie als auch in der Schule. Kinder haben ein Recht darauf, mit ihren religiösen Fragen nicht alleingelassen zu werden. Sonst besteht die Gefahr des „religiösen Kaspar-Hauser-Syndroms“ (F. Schweitzer), der Vernachlässigung und Orien-tierungslosigkeit in religiösen Fragen.

Folgende Fragen stellen sich offen oder verdeckt im Prozess des Heranwachsens (und sind nicht nur Kinderfragen):

Wer bin ich? – Was kann ich, was kann ich nicht?

Wozu bin ich auf der Welt? – Was hat das Ganze für einen Sinn?

Wo finde ich Gott? – Wo erfahre ich Schutz und Geborgenheit? Was sind Quellen innerer Kraft?

Was soll ich tun? Darf ich alles, was ich kann? – Warum soll ich Gebote achten, Grenzen respektieren und mich um Gerechtigkeit bemühen?

Warum und was glaube ich? – Und was glauben andere?

Wie wird die Zukunft gut? – Perspektiven gewinnen in den Herausforderungen unserer Zeit

Es gilt, auf diese Fragen für sich persönlich tragende Antworten zu finden.

Darüber hinaus geht es um Sprach- und Orientierungsfähigkeit in einer religiös vielfältigen „Multioptions-Gesell-schaft“ mit ihren zahllosen, nicht selten auch verunsichernden oder überfordernden Wahlmöglichkeiten. Diese Kompetenz dient nicht zuletzt der gegenseitigen Verständigung; sie führt über ein gesprächsverweigerndes „Das muss jeder selber wissen“ ebenso hinaus wie über ein gleichgültiges Reden von Toleranz aus Mangel an eigenem Profil.

Der Religionsunterricht trägt aus dem Geist und den Schätzen des christlichen Glaubens zu einer Persönlich-keitsbildung in diesem Sinne bei. Doch braucht er Verbündete für die faszinierenden Themen unserer Existenz – in der Schule wie in den Familien.

Dabei ist in den religiösen Grundfragen das ernstnehmende eröffnende Fragen wichtiger als die abschließende Antwort, das Staunenkönnen wichtiger als die vorschnelle eindimensionale Erklärung, die Infragestellung des Selbst-verständlichen erfrischender als die Unterwerfung unter die Ideologien des Alltags....

Für all dies braucht es Zeit, Raum, Muße und generationenübergreifendes Gespräch. Der Religionsunterricht bietet Zeit fürs Nachdenken über Lebensfragen, deren Antworten man eben nicht einfach googeln kann. Und der Religions-unterricht bietet Raum für die spirituelle Dimension des Menschseins, das sich nicht in der ökonomischen Frage nach dem Nutzen erschöpft, wenn es sich nicht erschöpfen will. Mögen in diesem Sinne alle am Schulleben Beteiligten „ihre Hausaufgaben machen“, Bildung nicht mit Ausbildung verwechseln und das menschliche Maß im Blick behalten.

 Hans-Jürgen Daut

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